Tro­phäe – Gaea Schoe­ters’ kunst­vol­ler Roman über Macht, Begeh­ren und Gewalt

Stel­len Sie sich vor, Sie ken­nen einen die­ser rei­chen, gelang­weil­ten Snobs, die beses­sen davon sind, die größ­ten und gefähr­lichs­ten Tie­re Afri­kas – Ele­fant, Nas­horn, Büf­fel, Löwe und Leo­pard – zu schie­ßen, die Big Five. Stel­len Sie sich wei­ter vor, dass die­ser Kerl ein echt guter Typ ist, einer, der erst reflek­tiert, bevor er schießt. Geht nicht? Der bel­gi­schen Autorin Gaea Schoe­ters gelingt die­ses Kunst­stück – und noch viel mehr – in ihrem 2024 erschie­ne­nen Roman Tro­phäe.

Der wohl­ha­ben­de Groß­wild­jä­ger Hun­ter White hat fast alles erlegt, was auf sei­ner Big-Five-Lis­te steht – die Krö­nung sei­ner lebens­lan­gen, von Vater und Groß­va­ter ererb­ten Jagd­lei­den­schaft soll das gefähr­li­che Nas­horn sein, das die Serie voll­ma­chen soll.

„Mit dem sechs­stel­li­gen Betrag, den er hin­ge­blät­tert hat, um das eine Nas­horn­männ­chen erle­gen zu dür­fen, finan­ziert er nicht nur ein Zucht­pro­gramm für den Fort­be­stand der Art, son­dern ermög­licht auch dem Rest der Her­de eine fai­re Chan­ce auf Schutz. Aber das wol­len die ‚Natur­schüt­zer‘ ein­fach nicht wahr­ha­ben.“

Als die­se letz­te Jagd jedoch uner­war­tet schei­tert, bie­tet ihm sein Freund und Jagd­füh­rer van Hee­ren etwas „Grö­ße­res“ an: die Big Six – die Jagd auf einen Men­schen.

„Wie kann er sein Ver­lan­gen ken­nen, sich mit die­sem Jäger zu mes­sen, indem er ihn jagt? … Für einen Moment hat er kei­nen Men­schen gese­hen, son­dern eine pracht­vol­le, begeh­rens­wer­te Beu­te.“

Doch Schoe­ters macht dar­aus kein rei­ße­ri­sches Spek­ta­kel, son­dern ein ver­stö­rend logi­sches Sys­tem aus Recht­fer­ti­gung und Moral: Das Töten der Tie­re dient dem Land, das Opfer der Men­schen­jagd dem Stamm. So wird der Jäger, in sei­ner eige­nen Logik, zum Wohl­tä­ter – eine Art fort­ge­schrit­te­nes Her­ren­ras­sen-Den­ken, getarnt als Dienst an der frem­den Gesell­schaft.

In Tro­phäe seziert Gaea Schoe­ters die Mecha­nis­men von Macht, Begeh­ren und Gewalt mit der Prä­zi­si­on einer Skal­pell­füh­re­rin. Sie ver­wan­delt die­se mora­li­sche Ver­dre­hung in ein schnei­dend kla­res Psy­cho­gramm über Kolo­nia­lis­mus, Ras­sis­mus und das uner­schüt­ter­li­che Selbst­bild des wei­ßen Erlö­sers.

Es ist ein bril­lan­ter, grau­sa­mer Roman – ein intel­lek­tu­el­ler Schuss ins Herz der Zivi­li­sa­ti­on.

Auf einen Blick

Titel
Tro­phäe — Gaea Schoe­ters

For­mat
Roman, 256 Sei­ten (2024, aus dem Nie­der­län­di­schen von Lisa Men­sing)

Emp­foh­len für
Leser:innen, die sprach­li­che Prä­zi­si­on, mora­li­sche Ambi­va­lenz und radi­ka­le Denk­an­stö­ße lie­ben

Lese­stim­mung
inten­siv, beun­ru­hi­gend, hoch­kon­zen­triert

Lese­tem­po
in Etap­pen – jedes Kapi­tel wirkt nach

Kon­text
ein hoch­ak­tu­el­les Gleich­nis über Macht, Ras­sis­mus und den kolo­nia­len Reflex des Wes­tens

Fazit

Ein Roman, der mit­ten ins Zen­trum unse­rer mora­li­schen Selbst­bil­der zielt. Gaea Schoe­ters schreibt kühl, scharf und mit einer erzäh­le­ri­schen Bril­lanz, die den Leser nicht los­lässt. Tro­phäe ist eben­so fas­zi­nie­rend wie ver­stö­rend: ein sprach­li­ches Kunst­werk über die dün­ne Linie zwi­schen Zivi­li­sa­ti­on und Bar­ba­rei – und dar­über, wie leicht sich Pri­vi­leg in Selbst­ge­rech­tig­keit ver­wan­deln kann.

Titel Tro­phäe
Autor Gaea Schoe­ters
Erschie­nen 2024
Ver­lag Paul Zsol­nay Ver­lag